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Die heilige Klara von Assisi

Die Fortdauer der Franziskaner-Bewegung über Jahrhunderte hinweg

Die Kirche feierte mit Papst Benedikt XVI (1) vom 16. April 2011 bis 11. August 2012 das 800. Jubiläum der Bekehrung der heiligen Klara von Assisi (2). Denn Klara hatte in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1212 ihre Familie verlassen, ihr Leben geändert und die braune Franziskanerkutte angelegt. Damals wusste niemand, dass diese Bekehrung zur Gründung des Klarissen-Ordens führen sollte, die sich in Wirklichkeit von diesem Datum bis zum Tag vor ihrem Tod erstreckte, als Klaras definitive Regel endlich von Papst Innozenz IV. akzeptiert wurde.

Nachdem Benedikt XVI. an dieses einzigartige Jubiläum erinnert hat, zieht er für die Jugendlichen der heutigen Zeit ein paar Lehren daraus. In der Tat ist dieses Aufsehen erregende Erwachen der Gnade in vielen seiner Züge mit einer heiligen Johanna von Orléans oder in jüngerer Vergangenheit einer heiligen Therese vom Kinde Jesu zu vergleichen. Bewunderungswürdiges Zusammentreffen des Wirkens des Heiligen Geistes. Versuchen wir, die Zeichen dieses Wirkens aus diesem Ereignis herauszulesen, dem die ganze glühende Suche nach Christus zugrunde liegt, die Klara im Lauf der 41 Jahre ihres geweihten Lebens zum Heil der Kirche und zum Ruhm Gottes gezeichnet hat.
Drei Achsen, die auch die drei Ursachen dieser Bekehrung darstellen, leiten unsere Überlegungen:
– Das Vorherrschen von Rivalität und Gewalt in der italienischen Gesellschaft der damaligen Zeit, die zersplittert und das Feld von Gebietsstreitigkeiten war, insbesondere zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem Papsttum.
– Das nachweislich zu irdisch bestimmte Engagement der Kirche in den Kämpfen jener Zeit, das auf Kosten ihrer Durchsichtigkeit auf das Evangelium hin ging.
– Das Auftreten von Franziskus als Herold des Friedens und der vollkommenen Los­gelöstheit, und zwar angesichts des Wunsches der «Politiker», sich zu behaupten, und der Zerreißproben des einfachen Volkes insbesondere in Umbrien, der Geburtsregion dieser beiden Heiligen, sowie in dem «Heiligtum» Assisi, wo sie geboren sind (der «Poverello» 1182 und Klara 1194), und das von Gott erwählt zu sein schien, um sozusagen das Zentrum seiner Gnade für diese Zeit zu sein.

Klaras Berufung bestätigt die von Franziskus. Die Entstehung des Klarissen-Ordens

Chiara Offreduccio di Favarone wurde in einer Adelsfamilie geboren. Ihre Mutter Ortolana war nach ihrer Wallfahrt nach Jerusalem frömmer denn je. Sie hatte zwei jüngere Schwestern – Katharina (später: Agnes) und Beatrice – und war 12 Jahre jünger als der heilige Franziskus und lebte zur Zeit der Konflikte, die auch er beobachtete: die Kreuzzüge, der Kampf gegen den Irrglauben (Katharer und Waldenser), und vor allem die Rivalität zwischen dem deutschen Kaiser Friedrich II. (1213-1250) und den Päpsten, darunter Innozenz III., Honorius III., Gregor IX., Innozenz IV. (von 1198 bis 1254), und all das auf dem Hintergrund praktisch ständiger Streitigkeiten zwischen den Städten Umbriens. In Frankreich herrschte in jener Zeit der heilige Ludwig als König (1214-1270).
Schon in ihrer Jugend fühlte sich Klara mit ihrer Intelligenz und Offenheit von ihrem Landsmann Franziskus angezogen und war vom Evangelium fasziniert, das er wörtlich lebte und ihr dabei die Begeisterung und die Schönheit des Lebens Christi, des Herrn aller Herren, in einer vollkommenen Demut und Losgelöstheit enthüllte.
Nachdem sie sich in ihrem Herzen bekehrt hatte, floh sie mit dem Einverständnis ihres Bischofs im Jahr 1212 in der Nacht des Palmsonntags aus ihrem elterlichen Haus, um sich von da an mit der Passion Christi zu vereinen. Sie floh zu Franziskus, der sie in der Portiunculakapelle als geistliche Tochter annahm, wo sie sich Gott für immer weihte. Sie war erst 18 Jahre alt.
Junge Mädchen der Stadt – angefangen bei ihrer jüngeren Schwester Katharina, die den Namen Agnes annahm –  schlossen sich ihr schon bald an, und in Anbetracht der Macht, mit der sie das Evangelium bezeugte, stand sie bald an der Spitze eines Ordens – dem der Klarissen – zu dessen Äbtissin Franziskus sie bestellte (1215). Sie lebten als Kloster in der Umgebung der Kirche von San Damiano, die er auf den Ruf von Innozenz III. hin restauriert hatte. In Erwartung der Regel, die Klara wünschte, und die auf einem Evangelium gründet, das in strengster Armut gelebt wird, mussten die Schwestern nach Willen des Papstes, der anlässlich des Laterankonzils die damals häufigen Entgleisungen vermeiden will, die Lebensform der Benediktiner annehmen (1215).
Vor seinem Tod (1216) bewilligte er den Schwestern das «Privileg der Armut», denn Klara warf dem Benediktiner-Orden vor, es nicht verstanden zu haben, sich vor Reichtum zu schützen. Ihr Beschützer Kardinal Hugolin – der zukünftige Papst Gregor IX. – gab ihnen als Regel die «Lebensform», die außer der vollkommenen Armut auch das Üben des Stundengebet, der Stille, des Fastens, der Arbeit im Haus, der Werke der Nächstenliebe enthielt. Da die Schwestern ohne Klausur lebten, war ihnen erlaubt, ihre ganz einfache Nahrung zu erbetteln. Das ging so weit, dass der heilige Franziskus, der sich selbst gegenüber so anspruchsvoll war, Klaras übertriebenes Fasten mäßigen musste. Sie trug zudem ein Büßerhemd aus Rosshaar. Im Alter von 30 Jahren brachte eine Krankheit sie an den Rand des Todes. Sie bemühte sich, den demütigen, leidenden und armen Christus so vollkommen wie möglich nachzuahmen. Sie war zwar in der Verteidigung des Prinzips sehr entschieden, jedoch sanft und sehr liebevoll mit allen (sie wusch den Schwestern, die betteln gingen, die Füße usw.). Sie gab Ratschläge, sprach Mut zu, vergab den Beleidigern (z.B. die Gewalt ihrer Onkel am Anfang). Ihre Heiligkeit war so groß, dass Gott sich ihrer großen Armut annahm, wenn nötig mit Hilfe von Wundern, die sich oft ereigneten. Der Herr gewährte ihr diese Gabe und sie heilte viele Kranke und Schwestern, außer sich selbst. Ab 1226 hat sie den heiligen Franziskus um 27 Jahre überlebt und so sein geistliches Erbe verwaltet, auch wenn sie von den Brüdern abhängig war.
Sie hat eine solche Seelenstärke und Autorität, dass ihr vertrauensvolles Gebet den Angriff der Sarazenen 1241 abwehrte, dass ihr Kloster sich immer mehr füllte, zahlreiche Niederlassungen außerhalb, in Italien und in Europa gründete, wie die von Agnes in Prag, mit der sie eine schwesterliche Korrespondenz pflegte, dass die Päpste, die die Schwestern leiteten, doch um ihr Gebet und ihren Rat ansuchten. In seiner Blütezeit zählte San Damiano 51 Ordensschwestern, darunter ihre jüngste Schwester Beatrice und ihre Mutter Ortolana. 1228 freute sie sich über die rasche Heiligsprechung des heiligen Franziskus und über die Weihe der Basilika, die ihm zu Ehren errichtet worden war (1239). Sie begleitete die schmerzlichen Stunden von Innozenz IV, der von dem hinterlistigen Kaiser Friedrich II. verfolgt wurde, und betete für das nach Lyon verlegte Konzil (1245). Die Regel, die er für den Klarissen-Orden vorgesehen hatte, konnte nicht angewendet werden, und Klara beschloss, «eine Regel zu schreiben, die von Frauen für Frauen gelebt wird», die folglich die Frucht ihres ursprünglichen Empfindens und ihrer Erfahrung als Gemeinschaft war. Als diese Regel, die erneuert, ergänzt, von ihrem benediktinischen Rahmen befreit und von der Geschwisterlichkeit und strengster Armut bestimmt war, am Tag vor Klaras Tod endlich vom Papst akzeptiert wurde, war der Orden damit in Sicherheit vor den Überraschungen der Zeit und den Launen des Dämons. Ihr Testament ruft ihr Ideal in Erinnerung: Christus – ihr einziger Reichtum – eine außerordentliche Demut, das immerwährende stille Gebet, der Gehorsam, der Empfang der Notleidenden, das Wohlwollen, der Verzicht auf den eigenen Willen, die Einheit, die gegenseitige Hilfe, kurzum: die Heiligkeit, und schließlich die Klausur.
Erschöpft von einem an Opfern reichen Leben starb sie am Montagabend, den 11. August 1253 im Alter von 59 Jahren. Sie wurde genauso schnell heiliggesprochen wie der heilige Franziskus, und zwar 1255 von einem weiteren ehemaligen Kardinal und Beschützer, der Papst Alexander IV geworden war.

Die heilige Klara, eine Frau, die die Zeit überdauert

Ihre Heiligkeit ist so groß, dass es nicht an Elementen für ein echtes Porträt fehlt. Die heilige Klara hat zweifellos ihren Platz unter den «starken» Frauen der Geschichte des Christentums, die das Alte Israel fortsetzen. Sie hatte ein außergewöhnliches Temperament vom Schlag des heiligen Franziskus. Sie war eine lebhafte Persönlichkeit, die reich an empfangenen Gaben und gepflegten Tugenden war, und stand damit zum Heil der Kirche im Gegensatz zu ihrer unruhigen Zeit. Durch ihre Unerschrockenheit verbunden mit ihrer Güte, ihrer Entschiedenheit und ihrer Nächstenliebe, ihren Ansprüchen und ihrem Mitleiden, ihrer Kühnheit und ihrer Vorsicht, Ihrer Einfühlsamkeit und ihrem Verstand, erscheint sie als eine bemerkenswert ausgeglichene, vollendete Frau, die im Lauf der Jahre und der Prüfungen sozusagen das Gewissen der Kirche geworden ist angesichts eines Papsttums, das auf der Suche nach Stabilität und Klarheit war. Damit ist sie mit den zukünftigen Heiligen Katharina von Siena und Brigitte von Schweden zu vergleichen, die zwei Jahrhunderte später gelebt haben, als dieses Papsttum sich nach Avignon verirrt hatte.
Der Mittelpunkt und die Achse ihres Lebens war ihre leidenschaftliche Suche nach Christus, ihrem Herrn und Erlöser, der ihr Leben völlig verändert hatte. Unaufhörlich suchte sie ihn, wollte ihn kennen lernen, aus Ihm leben, Ihn nachahmen und Ihn an die anderen weitergeben. Ihre Suche hat sich in den Lauf eines Riesen nach Art des Apostels Paulus verwandelt. Sehr früh hatte sie die unermessliche Gnade besessen, sich in ihrer Lebenswahl nicht zu täuschen und den wahren Weg zu finden. Einen steilen Weg, aber den Weg der wahren Freiheit. Während so viele Seelen sich von leichten und täuschenden Illusionen versklaven lassen und darin stecken bleiben, war sie imstande die zutiefst wahren Werte zu erkennen, zu denen der Glaube gehört, der von der Liebe erleuchtet und belebt wird.
Ihre Geistesgröße bestand also darin, den Bräutigam ihrer Seele erkannt zu haben, Der für sie gelitten und gestorben war und dem sie alles vergelten musste, indem sie in Seiner Liebe aufging. Sie wollte dieser Liebe entsprechen und eine vollkommene Braut werden. Daher ihr berühmter Vergleich mit dem «Spiegel», der Jesus ist, damit diese ideale Nachahmung gelingt. Ihr zufolge kann nur die vollkommene Vereinigung mit Ihm ihr tiefstes Verlangen, ihre Gelübde als christliche Frau erfüllen. Um dieser so großen Liebe willen bewies sie eine größtmögliche Opferbereitschaft, wie zur Zeit der Wüstenväter. Eine Askese, die bei den Frauen derart selten ist, dass sie die Leidenschaftlichkeit ihrer Liebe zu Jesus vor Augen führt. Sie schenkte Ihm ihre Seele, ihr Herz, ihren Leib durch ihre Weihe, ihre Keuschheit, ihr Gebet, ihre Kasteiung, ihre Gesten, ihre Worte, ihren Blick, der blind für die Welt war und nur die Augen Gottes sah, die sie so treu wie möglich widerspiegeln wollte.
Im Herzen ihres Herrn lebte sie also in einer unbeschreiblichen Freude, die ihr erleuchteter geistlicher Vater, der heilige Franziskus, so bewundernswert als «die vollkommene Freude» zu beschreiben wusste, die aus einer vollkommenen Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen entsteht, insbesondere aus dem völligen Verzicht, den er einschließt. So empfand sie zugleich auch den unwandelbaren Frieden der wahren Kinder Gottes.
Die heilige Klara war ein außergewöhnliches Vorbild der Gleichgestaltung mit Christus und der Treue zu Ihm.
Deshalb ist ihre Fruchtbarkeit, die vom Heiligen Geist geleitet wurde, genauso groß.
Zusammen mit dem heiligen Franziskus hat sie dazu beigetragen, den Frieden in Assisi und Umbrien wieder herzustellen. Sie hat die Adelsfamilien sozusagen gezwungen, ihren gegenseitigen Groll im Licht des Evangeliums neu zu betrachten.
Bei ihrem Tod hinterließ sie der Kirche ein unermessliches Vermächtnis: ein großartiges geistliches Kapital durch die etwa 150 in ganz Europa verbreiteten Klöster; das Vorbild einer unvergleichlichen Kindschaft und einer persönlichen Frömmigkeit, die fähig war, die schönsten Berufungen zu wecken, wie zur Zeit des heiligen Bernhard bei den Zisterziensern; ihre Neuentdeckung des tiefen Sinns für Christus den Erlöser, der fähig war, mit Macht eine neue Evangelisierung an allen sozialen Schichten in die Wege zu leiten, und dessen Vorbild der Geschwisterlichkeit ein besonders gutes Mittel dafür ist; ihre Fähigkeit, dem Papsttum in seinen schwierigen Stunden, in seinem Kampf gegen das Kaiserreich und bei der Überwindung der Irrlehren durch ein Mehr an Gebet und Opfern beizustehen; ihr Vorschlag, einen neuen «Status» für die Frau einzurichten durch die vernünftige Emanzipierung von veralteten Zwängen, die noch auf der Lebenssituation der Frauen im Mittelalter lasteten – eine Emanzipierung, die Klara gemeinsam mit den Frauenorden darstellte, die die Bedeutung der Männlichkeit sowohl in der Kirche als auch in der Klasse der Krieger etwas relativierte. Und schließlich versäumt es der Heilige Vater Benedikt XVI. nicht, auf die erstaunliche Aktualität hinzuweisen, die das Zeugnis der heiligen Klara durch das fröhliche und heitere Leben jener Radikalität des Evangeliums für die Jugendlichen hat: Denn ihre berühmte Vorgängerin hatte keine Angst, sie schon mit 17 Jahren Tag für Tag zu leben: «Wie kann man umhin, Klara und Franziskus den Jugendlichen von heute vorzustellen? Die Zeit, die zwischen uns liegt, hat ihre Anziehungskraft nicht geschmälert. Angesichts der Enttäuschungen des modernen Lebens, von denen die Jugendlichen getroffen werden, lädt ihre Geschichte sie ein, über den Sinn der Existenz nachzudenken und in Gott das Geheimnis der wahren Freude zu suchen. Wer sich ihm hingibt, verliert nichts, sondern findet den wahren Schatz, der allem Sinn verleiht. Ich wünsche den zahlreichen Jugendlichen, die auf der Suche nach dem Licht sind, dass sie diese beiden leuchtenden Gestalten des Firmamentes der Kirche neu entdecken.»
Benard Balayn

Anm.: Im französischen Mutterland (ohne Überseegebiete) gibt es heute 55 Klarissinnen-Klöster (4 in der Region Nord, 3 in der Region Drôme-Ardèche mit 1 Kapuzinerkloster, und 1 Klarissen-Kloster in Crest.)

Anmerkungen:
1. Geistlicher Erbe des heiligen Bonaventura, einem Fran­zis­-
kanertheologen.
2. In seinem Schreiben vom 1. April 2012 an den Bischof von Assisi. (O.R. in deutscher Sprache, Ausgabe 16/2012)
 

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