Auf dem Kalvarienberg mit Christus und seiner Mutter
Don Dolindo
In seinen einsamen Kontemplationen schrieb Don Dolindo Gedanken auf kreuzförmige Zettel, deren Arme er zusammenfaltete, um den Text zu verdecken. Während die kleinen Bilder (Gebetszettel) für andere waren, stellten diese Zettel eine Art Tagebuch dar, das die vollkommen verschmelzende Verbindung des Mystikers mit Jesus bestätigte. Er fühlte sich in diesen Nächten der Leidenschaft, die er für den Nächsten opferte, wirklich auf Golgatha mit Christus und seiner Mutter.
Man liest auf einem dieser Zettel mit Datum 1963:
O Jesus, mein armes Herz zittert und die Seele seufzt für die vielen Leiden auf Erden. Habe erbarmen mit den Seelen, die leiden, habe Erbamen mit jenen, die weit weg von dir in der Sünde seufzen! Dass ich beten, wieder gutmachen und auch trösten könne, wer seufzt. O Maria, ich vertraue mich dir an, decke uns mit deinem Mantel zu, o liebevollste Mamma. Ave Maria.
Auf einen anderen dieser Zettel, «geheime Post» zwischen ihm und dem Herrn, sind mehrere Daten angeführt, wahrscheinlich weil er den Text in verschiedenen Gebets- und Opfernächten niederschrieb: «21. November 1962, 4. Januar 1963, 22. Februar, 29. März, 3. Mai, 20. Juni, 2. August.» es handelt sich allesamt um Freitage. Unter der Tagesangabe liest man:
Ich bin ein Wurm vor dir, mein Jesus, verherrliche dich in meinem Nichts, ordne das irdische Leben und mache, dass ich wie eine Kerze vor dem Sakrament sein möge, vollkommen in deiner Herrlichkeit und für die Seelen verzehrt. Wie sich der Docht neigt, flackert und erlöscht, so senke ich das Haupt beim letzten Atemzug: Ich liebe dich , o Jesus. Ich liebe dich, o Maria! Segnet die Seelen, die in Vergessenheit geraten sind, und tröstet sie.
Ich bewahre auch die Schreibfedern und die zwei Klingen auf: manchmal verwendete er auch sein Blut, diese Worte zu schreiben, die in der persönlichen Beziehung mit Jesus und der Jungfrau diktiert wurden, oder um die Gestalt Christi auf den Kreuzen zu vervollständigen, die er mit eigenen Händen gefertigt hat. Hielt er diese Schreibfedern in der Hand, äußerte er wichtige Worte bezüglich seines großartigen Werkes Commento alla Sacra Scrittura: «Möge ich sie mit meinen Händen brechen, sollte ich Rechenschaft ablegen müssen, im Geschriebenen nicht den Willen des Herrn erfüllt zu haben.»
Die stillen Dialoge mit Jesus am Kreuz haben eine andere ergreifende Überlegung, oder besser, ergreifendes Gebet hervorgebracht, die uns Don Dolindo überlassen hat:
Hier, Herr, zwei Kreuze, / das eine gegenüber dem anderen: / der heilige Gekreuzigte, das bist du, / der die Arme öffnet, um mich in deiner großen Güte zu umarmen / und der Gekreuzigte in seinem Elend verwundet, / der ich bin, der die Arme öffnet, um deine Barmherzigkeit zu ergreifen, / und all mein Elend hineinzulegen! / Ich schaue zu dir auf, mein Jesus, / und sehe, dass zwischen uns Vertrautheit besteht. / Deine Augen sind auf mich gerichtet und meine Augen schauen dich an: / Es begegnen sich zwei Blicke, einer, der bettelt und einer, der verzeiht, / einer, der fleht und einer, der barmherzig richtet! / So sah dich der Schächer am Kreuz an und so schautest du mich an, o Jesus! / Ich befinde mich vor vier gekreuzigten Händen: / deine sind ans Kreuz genagelt, um mich von der Sklaverei zu befreien / meine sind in meinem Elend gelähmt und richten sich auf dich, um gelöst zu werden. / Es befinden sich vier angenagelte Füße: / Deine, festgehalten von der Liebe; meine, von Faulheit und Trägheit. / Oh, es ist mein Elend, die Ansprechstelle zwischen mir und dir, o Jesus! / Mein Elend, das auf dich vertraut, / Jesus, aus barmherziger Liebe gekreuzigt.
Seit meiner Jugendzeit wiederholte er mir mehrmals, dass man leben muss «um die Herrlichkeit Gottes zu erweisen»; alle unsere Gesten, jede unsere Entscheidung müsste diese Zielsetzung haben: Sich in die Spur des göttlichen Willens begeben. Das führt zur Einsicht, sich stets zu fragen, ob unser Tun oder was wir tun möchten auf die Glorie Gottes ausgerichtet ist, und nicht etwa auf die Befriedigung unseres Egoismus, unserer Eitelkeit, oder der Unfähigkeit zu verzeihen.
Hat jemand Böses verübt, stellt Don Dolindo klar, reicht es nicht zu schweigen oder nicht zu reagieren, denn es braucht eine liebevolle und daher aktive Antwort. Er schreibt im Commento al Vangelo di Matteo, dass man «die Feinde lieben» muss (1936-37), denn das bedeutet nicht, Abneigung gegen das Böse nicht zu spüren, das verübt wurde, vor allem, wenn dieses die eigene Seele beleidigt und befleckt hat; das bedeutet nicht, die natürliche Reaktion unterdrücken, die das Böse anwidert beziehungsweise diesem widerstrebt, oder den Stolz aufbrausen lässt; das bedeutet, dass man jenen Gutes erweist, die uns hassen und die göttliche Barmherzigkeit auf sie herabfleht, damit sich ihr Herz und ihr Denken ändere und sie zu neuen Geschöpfen werden. […] Ein Feind bedeutet eine Gefahr für den eigenen Frieden und er ist auch eine äußere Gefahr, denn der Feind kann uns viel Böses antun. Der schönste Weg ist, ihn zu bedauern, seine Bosheit zu entschuldigen und die ungerechten Absichten mit irgendeinem spirituellen oder körperlichen Wohl zu brechen, somit die Bösartigkeit abbauen und ihn eines Besseren besinnen lassen. Es ist schöner, mit Liebe die Initiativen des Feindes lahmlegen, I und wo die Liebe keinen Einfluss erwirkt, diese mit Gebet zu lähmen. […] Wäre es gegen die menschliche Natur, den Feinden zu verzeihen und sie zu lieben, so wäre die Kirche nicht mit Heiligen übersät, die ihr Ehre mit dieser Tugend eingebracht haben. In der Kirche ist es nicht eine Ausnahme, sondern Norm, weil alle die Prüfungen der Bösen durchmachen müssen und weil man nicht in den Himmel fliegen kann, ohne vorher verziehen zu haben.
Kehren wir zur Notwendigkeit zurück sich mit dem göttlichen Willen «abzustimmen», so hat der Maestro (Lehrer, AdÜ) Don Dolindo auf eines der Bildchen eine wertvolle Botschaft über das Unterscheidungsvermögen diktiert:
Jesus an die Seele: «Die Stiege zum Himmel ist mein Wille. Der Weg, meinen Willen zu erkennen, ist die Hingabe und das Vertrauen in den kleinen Dingen; der Weg des Vertrauens ist, wenig daran zu denken, was geschehen ist und was geschehen kann. Welchen Sinn hat es, an das Vergangene zu denken, das nicht mehr ist? Welchen Sinn hat es, an die Zukunft zu denken, die nicht von euch abhängt? Ruht in mir und erfüllt treu alle eure Pflichten, macht alles, was von euch im Augenblick abhängt, wenn ihr handeln müsst: Hier liegt das Geheimnis des inneren Friedens und damit der Eifer der Seele. Es gibt keinen Eifer ohne Ruhe und es gibt keine Ruhe ohne völlige Hingabe in mir.»
«Jesus, sorge Du!», Seite 158-161
Foto: Worte der Liebe an Jesus, geschrieben auf kreuzförmige Zettel.