Der heilige Charbel, Eremit aus dem Libanon, wirkt weiter Wunder in der ganzen Welt
Die Welt ist ein großes Buch, trocken und hart, das ich heute Morgen hinter mir lasse, um mit einem Flügelschlag in den Nahen Osten zu gelangen und meine Füße auf den Boden von Beirut zu setzen. Die Gesundheitskrise hat mich viele Monate in der Ferne gehalten; es war eine Zeit der Pause zwischen Europa und diesem vergessenen Landstrich, wo sich Hunger und Elend in größter Stille und Gleichgültigkeit festgesetzt haben.
Der Medienrummel um die apokalyptische Explosion in Port verebbte, die politischen Marionetten drehten einige Runden und weinten sich über andere Bedrohungen an der Bühnenfront aus. Die Vergessenen blieben zurück, haben den Hunger abgewiesen wie man Schande abweist und das Elend beiseite geschoben wie man den Tod beiseite schiebt. Georges, mein kaum ergrauter Fahrer, breitet mit hängenden Schultern und müden Augen die Arme aus: «Wir haben überlebt», sagt er lächelnd und das ist fast schon eine Leistung!
Während wir auf der Autobahn nach Jbeil fahren, reden wir miteinander.
«Es ist gut, dass du in der Nacht angekommen bist, denn am Tag ist es noch schlimmer und man ist dann gezwungen, alles zu sehen…» Ich verabrede mich mit ihm für den nächsten Morgen, um mit ihm Richtung Annaya zu fahren, wo mich P. Luis Matar, der Archivar des Klosters vom hl. Charbel, mit einer Herzlichkeit und Freundschaft empfängt, die im heiligen Land Libanon ihresgleichen sucht.
«Wie lange sind Sie schon nicht mehr hier gewesen? Fast eine Ewigkeit… Ich habe gestern an Sie gedacht, als eine Sendung ausgestrahlt wurde, zu der mich der Fernsehsender OTV Lebanon eingeladen hatte. Der Herr schenkt nämlich trotz der Kriege und der Covid-Pandemie weiterhin durch den hl. Charbel seine Gnaden. Inzwischen gibt es mehrere tausend Wunder weltweit… Und ich habe noch weitere zu klassifizieren. Wie kann man da die Hoffnung verlieren? Das libanesische Volk wird immer aufgrund seines Charakters, seiner Persönlichkeit und seines Glaubens aufrecht bleiben. Die Bündnisse vom 8. März 2005 und vom 14. März 2005 sind antagonistisch, aber die Mitglieder dieser politischen Koalitionen kommen trotz ihrer unterschiedlichen Interessen an jedem 22. des Monats bei der Wallfahrt nach Annaya einmütig zusammen, um an jedem 22. des Monats den Jahrestag der wunderbaren Heilung von Nohad El-Chami zu feiern, Dank zu sagen und den Schutz des verehrten hl. Charbel zu erbitten. Es ist jeweils ein Augenblick intensiver Gemeinschaft, wenn sich Tausende von Libanesen aus allen Religionen – Christen, sunnitische Muslime, Schiiten, Drusen, Juden, Jesiden und sogar Buddhisten – unter dem Blick des Herrn versammeln, um zu beten. Heute ist es 30 Jahre her!»
JCA: Wie geht es Nohad seit dem Tod ihres Mannes? Führt sie immer noch die Prozession von der Eremitage zum Annaya-Kloster an, wie der hl. Charbel es ihr aufgetragen hatte: «damit die Welt glaubt»?
P. Luis: «Natürlich – seit 1992 hat sie es nie verabsäumt, an jedem 22. des Monats dort zu sein, um ihr Versprechen treu einzuhalten und für ihre Genesung zu danken. Covid hin oder her, krank oder nicht, ihre beispielhafte Treue trotz ihres hohen Alters berührt uns tief. Heute kann sie sich nur noch beschwerlich fortbewegen, aber sie führt die Wallfahrt in einem kleinen Auto an und macht mit einer Gehhilfe einige Schritte, um der hl. Messe beizuwohnen. Übrigens hatten wir das Kloster während der gesamten Pandemie nie geschlossen, nicht einen einzigen Tag!, auch nicht das Büro, wo die Wunder aufgenommen werden.
Ich möchte Ihnen von einer Heilung berichten, die 13 Jahre zurückliegt; es ist die Heilung eines muslimischen Kindes aus Kerbala (im Irak), der Hauptstadt und dem Heiligtum der schiitischen Gemeinschaften. Das Kind wurde mit einem verkürzten Bein geboren. Während seiner gesamten Wachstumsphase musste bei ihm eine Apparatur angebracht werden, damit der Junge laufen konnte. Sein Vater war mit einem maronitischen Libanesen in Kerbala freundschaftlich verbunden und beschloss, den damals Achtjährigen für eine kurze Reise in den Libanon in dessen Obhut zu geben. Er hatte voller Glauben die Überlegung aufgenommen, für sein Kind um eine Gnade zu bitten. Während der Reise und bis nach Annaya beteten die beiden Pilger inbrünstig. Sie sollten in der Oase, dem Gästehaus des Klosters, übernachten, aber vorher hielten sie am Grab des hl. Charbel an, um sich innerlich zu sammeln. Als sie weiterfahren wollten, hatte das Kind das Empfinden, als würde es nach vorne geschleudert und verlor das Gleichgewicht. Durch das Hinfallen hatte es Schmerzen, und um es zu entlasten, nahm man ihm unverzüglich seinen Apparat vom Bein. Voller Staunen konnte man feststellen, dass die beiden Beine nun die gleiche Länge hatten.
Wir haben den Jungen, dem dieses Wunder zuteilwurde, und der nun Medizin studiert, nie wieder gesehen. Aber 13 Jahre später kamen seine Eltern dieses Jahr mit den ärztlichen Bescheinigungen, um damit die wissenschaftlich nicht erklärbare Heilung ihres Sohnes zu bezeugen und Dank zu sagen.»
P. Luis schwieg, sammelte sich und richtete dann seinen aufmerksamen Blick wie eine lebendige Quelle auf mich, um mir von dem zweiten Wunder zu berichten, dem Wunder, das an Ahmad Aljwalie geschah, der in Bagdad (Irak) geboren wurde. Er ist der Neffe eines berühmten Chirurgen, der auch in Amman praktiziert. Trotz dieser medizinischen Nähe erwies sich die Wissenschaft als machtlos, um die seltene Krankheit dieses Kindes zu heilen. Die Familie hatte resigniert, doch der Onkel, der Arzt war, lehnte sich dagegen auf. Als er eines Tages an einer chaldäischen Kirche in Bagdad vorbeikam, fühlte er sich gedrängt, sie zu betreten. Er verweilte dort, betete und ging in dieser gesammelten Atmosphäre nach dem Offertorium wie alle anderen Gläubigen zur Kommunion, um den Leib Christi zu empfangen. Nach der Messe ging er zum Priester in die Sakristei und fragte ihn: «Können Sie etwas für meinen Neffen tun?» Der Priester antwortete ihm: «Ich selbst kann nichts tun, aber der Herr kann es – auf die Fürbitte eines Heiligen, der weit entfernt von hier im Libanon ist. Er heilt viele Kranke und zwar unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrer Religion…»
Im Herzen des Onkels nahm dieser Gedanke Gestalt an und da der Kranke nicht transportfähig war, reiste der Onkel die 2000 km von Bagdad nach Annaya, um dort um Hilfe zu bitten. Nachdem der Chirurg dort angekommen war, verbrachte er den ganzen Tag damit, zwischen der Eremitage, wo der hl. Charbel sein Leben verbracht hatte, und dem Kloster hin und her zu gehen, bevor er am Abend in sein Hotel in Jbeil zurückkehrte.
Einige Monate später kam er eigens wieder, um sein Zeugnis als Arzt samt den Belegen als Beweis abzuliefern. Er erklärte uns, was in der Nacht während seiner ersten Wallfahrt nach Annaya passiert war. Sein Neffe hatte an dem Abend, als der Onkel den Heiligen um Hilfe bat, schreckliche Krämpfe bekommen, so dass die Familie dachte, er würde sterben. Am Morgen eilte der Onkel nach Bagdad zurück, nachdem er mit dem jungen Kranken telefoniert hatte. Als er ankam, stellte er persönlich eine Besserung fest, auf die eine vollständige Heilung folgte, die von allen nachfolgenden Untersuchungen bestätigt wurde.
«Ja, wir haben dunkle Momente erlebt», fährt P. Luis fort, «aber die Flamme der Kerze des hl. Charbel ist in unseren Nächten nie erloschen. Weil unser Eremit zur Ehre Gottes arbeitet und dadurch den Libanon über seine innere Spaltung und Zerrissenheit hinaushebt, denn wir heißen [andere] willkommen, wir lieben, wir legen Zeugnis ab und wir verkünden ihn durch Wort, Schrift, Gebet und die Vertrauensakte, die wir setzen. Ohne Liebe gibt es auf unserer Erde und in der Welt kein Heil. Er ist es, der die Mauern und Grenzen niederreißt und uns unaufhaltsam zu Gott führt, auch wenn manche meinen, es sei zu früh oder zu spät.
Der Herr hat uns all das auf diesem libanesischen Boden gelehrt, der so schön ist und den wir so warmherzig, so gastfreundlich bewahren sollen. Wir Libanesen lieben den Sand und das Wasser, die Farben unserer Berge und unseres Himmels, der Blumen, die unsere trockenen Mauern bedecken. All das ist Liebe, weil Gott Liebe ist.»
Hier wechselt P. Luis diskret die Tonart.
«Ich werde Ihnen eine Geschichte erzählen, die mich betrifft und die nicht in den Archiven des Klosters auftauchen wird. Zu Beginn der Pandemie empfing ich eine Person, von der ich nicht wusste, dass sie an Covid erkrankt war. Anschließend hatte ich Symptome und da ich zur Risikogruppe gehöre, ließ ich mich testen. Das Ergebnis war positiv!
Wenige Tage zuvor hatte eine junge libanesische Seherin eine Nachricht vom hl. Charbel erhalten, in der er ihr mitteilte, dass die Erde aus seinem Grab die Krankheit heilen würde, wenn man sie mit Wasser aufbrühen und dann inhalieren oder sogar trinken würde.
Überall hieß es, dass es kein Heilmittel gegen diese Plage gäbe…, daher habe ich selber die Ratschläge vom hl. Charbel befolgt. Ich filterte den Aufguss durch ein Tuch, inhalierte ihn und trank ihn dann. Nach meiner Genesung ließ ich zur Kontrolle eine Röntgenuntersuchung machen und meine Lunge war vollständig normal; sie hatte keine andere Behandlung als die vom Himmel empfohlene gehabt. Eine Probe dieses Aufgusses wurde in einem Speziallabor untersucht. Der PH-Wert betrug 8, er war also alkalisch, was erklären würde, warum er eine zerstörerische Wirkung auf den Virus hatte, wie der Biologe sagte, der die Analyse durchgeführt hatte. Wie ich Ihnen bereits zu Beginn unseres Gespräches sagte, ist alles eine Frage des Vertrauens und des Glaubens.»
An seinem Bürofenster, vor dem großen Gemälde des Heiligen, drängen sich Sätze, als ob sie bereit wären, wegzufliegen, zum Meer hinunterzurasen, um denjenigen, die noch daran zweifeln, die Hoffnung zu bringen, die immer und immer wieder geteilt werden kann! (Fortsetzung folgt)
Jean-Claude und Geneviève Antakli, Schriftsteller und Biologen