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Agnes Ritter, die Bauherrin der Kathedrale, ist nicht mehr unter uns

Karaganda
 

Denken Sie nur: Eine einfache Mutter von drei Kindern, die in dem wunderbaren kleinen Dorf Viktorsberg (Vorarlberg – Österreich) einen Landgasthof führte und dabei von ihrem Mann unterstützt wurde, der von Pferderennen begeistert und daher oft am Wochenende – der Zeit des größten Andrangs in der Pension – außer Haus war, erhielt von der Heiligen Jungfrau den Auftrag, irgendwo weit weg, in sechstausend Kilometer Entfernung von ihrer Heimat Vorarlberg eine Kirche für sie zu bauen! Das war im Jahr 1975 mitten in der Zeit des sowjetischen Kommunismus, was aus diesem Unternehmen eine noch größere Herausforderung machte.

Auf der Suche nach dem Ort Teleskoye im Altai
Können Sie sich auch nur einen Augenblick in diese gute Agnes hineinversetzen, als sie einer solchen Bitte gegenüberstand? Man muss zugeben, dass sie mehr als Grund hatte, ratlos zu sein – und das ist noch sanft ausgedrückt. Nun, Agnès nahm diese Sache schließlich ernst, auch wenn dies einige Zeit gedauert hatte. In der Tat sagte sie sich erst zwanzig Jahre später, als sie 1995 auf wunderbare Weise von einer Krankheit geheilt wurde, die sie fast das Leben gekostet hätte, dass es Zeit sei, sich auf den Weg zu machen und nach diesem Ort zu suchen, den sie mehrmals in ihren Visionen gesehen hatte. Der erste Versuch endete mit einem Misserfolg, und zwar ganz einfach, weil sie nicht das nötige Visum hatte, um in die kleine Republik Altai einzureisen. Im folgenden Jahr aber war diese „Schnitzeljagd“ mit den verschiedenen Hinweisen, die die Heilige Jungfrau erdacht hatte, von Erfolg gekrönt. Agnes fand den besagten See Teleskoye sowie den genauen Ort, den der Himmel für den Bau der «Kirche aller Nationen» erwählt hatte.
Von 1996 bis 2002 reiste sie unermüdlich zwischen Viktorsberg und der Hauptstadt dieses kleinen, nach dem Ende der Sowjetrepublik entstandenen Landes Altai hin und her, um das Gelände und dann die Baugenehmigung zu erlangen. Man kann sich leicht vorstellen, wie vielen Problemen aller Art Agnes gegenüberstand: Wie konnte es ihr gelingen, die zivilen Behörden, die zum einen ungläubig und zum anderen noch stark von den 70 Jahren atheistischen Kommunismus geprägt waren, davon zu überzeugen, dass in ihrem Land eine römisch-katholische Kirche erbaut werden sollte? Zudem war der katholische Ortsbischof von Novosibirsk, der damals ein einfacher apostolischer Verwalter und von Rom abhängig war, gegen dieses Vorhaben eingestellt: Er sah nur die Probleme, die dieses Projekt in den Beziehungen mit der orthodoxen Kirche schaffen würde.
Und doch wurde der Baugrund wider alles Erwarten erlangt, die Baugenehmigung erteilt und die Arbeiten konnten beginnen! In erster Linie musste diese Stätte an die nächste Straße angeschlossen werden, die in 2 km Entfernung verlief, und im Sommer begannen die Erdarbeiten, um diese Straßenverbindung zu bauen. Der Herbst und der Winter zwangen zum Einstellen der Bauarbeiten, und im Frühjahr kam dann der Paukenschlag: Der Vatikan änderte den Status der apostolischen Verwalter Russlands. Daher waren die Bischöfe nun endlich Herren im eigenen Haus. Die kategorische Entscheidung des Bischofs von Novosibirsk ließ nicht auf sich warten. Gestützt auf seine neu erlangte Macht verlangte er von Agnes, dass sie ihr Unternehmen sofort einstellte.

Du wirst uns doch nicht im Stich lassen
Es blieb nichts anderes übrig als sich dem zu beugen und zu gehorchen. Über zwei Jahre lang war es ein Wandern durch einen Tunnel ohne Ende. Was tun? Den Spendern erklären, dass das Abenteuer zu Ende war und ihnen ihr Geld zurückerstatten? Und den Himmel bitten, ihr diesen unmöglichen Auftrag abzunehmen? Das tat sie am 15. August 2003 in ihrer kleinen Kirche in Viktorsberg. Und was antwortete der Himmel? «Du wirst uns doch nicht im Stich lassen!» Das bedeutete ganz klar, dass sie weiter hoffen sollte. Und im Lauf des Sommers 2004 löste sich dann der Knoten. Jemand brachte Agnes in Verbindung mit dem Bischof von Karaganda in Kasachstan, und im Handumdrehen wurden alle Probleme wie durch ein Wunder gelöst. Der Bischof hatte im Jahr zuvor einen Baugrund erworben und hatte alle Pläne, die von einem russisch-orthodoxen Architekten ge­zeichnet worden waren, sowie eine Baugenehmigung fertig vorbereitet. Es fehlte nur die Finanzierung. Agnes verbürgte sich im Namen ihrer Vereinigung und aller Spender dafür, und unmittelbar danach wurden die Bauarbeiten im September 2004 in Angriff genommen. Man braucht nicht zu erwähnen, dass Agnes die Zustimmung des Himmels erbat, bevor sie begann. Sie bekam grünes Licht vom Himmel, um den ursprünglichen, von der Heiligen Jungfrau gewünschten Plan zu ändern. Der Himmel achtet nämlich die Freiheit der Menschen, in diesem Fall die des Bischofs von Novosibirsk.

Eine erlösende Mission, die von der kranken Agnes gesegnet wurde
Im August 2005 besuchte Agnes die Baustelle zum ersten und zum letzten Mal. Sechs Wochen nach ihrer Rückkehr aus Karaganda erlitt sie einen ersten Schlaganfall, dem einige Monat später ein zweiter Schlaganfall folgte, was sie körperlich und geistig sehr schwächte. Von da an war die dynamische und so energische Agnes nur noch eine arme Patientin, die ganz von ihrem lieben Markus abhing, der sich rührend um seine Gattin kümmerte, obwohl er viele Jahre lang dem Engagement seiner Frau für diese Kirche eher negativ gegenübergestanden war. Es war ihm sehr schwer gefallen, den göttlichen Auftrag seiner Gattin zu akzeptieren.
Doch dank des Vertrauens und der Beharrlichkeit dieser einfachen österreichischen Familienmutter ist nun eine römisch-katholische Kathedrale im neugotischen Stil der Stolz dieser Stadt Karaganda, die wie das übrige Land zu 70% von Muslimen bevölkert ist. Der Rest besteht aus Orthodoxen, einigen Protestanten, Ungläubigen und natürlich einer kleinen katholischen Gemeinde, deren Zahl beträchtlich zurückging als viele Deutsche in ihre Heimat zurückkehrten, die Stalin seinerzeit von den Ufern der Wolga und des Schwarzen Meers in den Gulag deportiert hatte als Vergeltungsmaßnahme für die Invasion Hitlers in die Sowjetunion. Bischof Adelio Dell’Oro von Karaganda freut sich sehr über den regen Besuch seiner Kathedrale, der umso verdienstvoller ist, als die Gläubigen oft lange Strecken zurücklegen müssen, da diese riesige Stadt sehr ausgedehnt ist und die meisten Leute aus einfachen Verhältnissen kommen und nicht unbedingt ein persönliches Fahrzeug haben.
An Ostern hat sich eine ganze muslimische Familie taufen lassen. Sie können sich vorstellen, wie viel Mut diese Menschen für diesen Schritt aufbringen mussten, auch wenn der Islam in diesem Land nicht die Virulenz hat, mit der wir nunmehr in Europa konfrontiert sind.

Die Kathedrale evangelisiert
Ansonsten ist die Kathedrale fraglos ein Ort der Evangelisierung wegen ihres Stils, der die Passanten und Touristen anspricht. In der Saison von Mai bis Oktober finden dort alle zwei Wochen am Sonntagnachmittag geistliche Konzerte, oft Orgelkonzerte statt, die Menschenscharen aus allen religiösen Horizonten anziehen. Angesichts der reichen Dekorierung mit Statuen und bildhaften Kirchenfenstern ist das also eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Geheimnisse unserer katholischen Religion bekannt zu machen und zu ihrer Betrachtung einzuladen. Im Übrigen ist das Gebäude ein «Kultbau» für alle jungen Brautpaare, die aus dem nahegelegenen Rathaus kommen und sich vor der Kathedrale fotografieren lassen wollen. Das ist unglaublich rührend. Die Stadt Karaganda sowie die Fluggesellschaft des Landes bedienen sich gern des Bildes der Kathedrale, um jeweils Werbung für sich zu machen.
Und all das dank unserer lieben Agnes, der wir von ganzem Herzen danken. Sie ist ein eindrückliches Vorbild an Vertrauen und Hingabe an die Vorsehung, dem wir folgen sollten. Diese Eigenschaften berühren das Herz Gottes am meisten.
Eine kleine Anekdote: Schon als ganz kleines Kind wollte Agnes immer Architektin werden. In Wirklichkeit konnte sie ihr Vorhaben wegen dem Krieg nicht verwirklichen, doch das Interesse an Bauwerken hat sie stets behalten. Jetzt ist sie im Haus Dessen, der ihr die Ehre erweisen hatte, ihr diesen außergewöhnlichen Auftrag anzuvertrauen, eine Kathedrale zu bauen. Was für ein phantastischer Auftrag! Und sie hat ihn erfüllt. Möge sie ruhen im Frieden in diesem wunderschönen kleinen Friedhof von Viktorsberg, in unmittelbarer Nähe der Pension «Schöne Aussicht», wo die Heilige Jungfrau sie aufgesucht hatte.

von André Charton