Florilegien an Wundern in Rekordzeit!
Der Wind, der vom Gebirge kommt, weht über Annaya und scheint nach und nach das Kloster zu durchdringen, dessen große Türen schon früh an diesem Morgen geöffnet sind.
Niemand ist auf den Fluren; einige Gläubige beten in der vom sanften Licht der flackernden Kerzen erhellten Kapelle. Eine schützende Verglasung schließt die Arkaden oberhalb des Kreuzganges ab. Dort, am Ende des Flurs, löst sich im Gegenlicht die Silhouette von P. Luis Matar.
P. Luis Matar sagt uns nach der üblichen Begrüßungszeremonie: «Diesmal habe ich die Zeitschrift Stella Maris sehr regelmäßig erhalten und da ihr mir euren Besuch angekündigt habt, habe ich euch Fälle von erstaunlichen Heilungen vorbereitet!»
JCA: «Nun», sage ich, «im Libanon hat sich die Post gebessert».
P. Luis Matar: «Ja», sagt er, «aber sonst hat sich hier nichts verbessert… Die Lage ist angespannt – im Norden mit Syrien, im Süden mit der Hisbollah. Und noch immer gibt es keine Regierung. Das Gleichgewicht ist prekär; man fürchtet, dass ein Funke ein Feuer entfachen könnte.»
Seine Stimme ist ruhig, fast gleichgültig; hinter seinem Schreibtisch sitzt er heiter und lächelnd, so wie wir ihn immer erlebten, schlicht und wohlwollend.
JCA: «Wie lange sind Sie schon im Kloster?»
P. Luis Matar: «Ich bin seit über dreißig Jahren hier und der Einzige unter meinen Mitbrüdern, der immer in Annaya war.»
Geneviève: «Sie sind ein wenig der Hüter des Tempels und ich glaube, Sie waren auch der Einzige, der 1950 bei der Exhumierung des hl. Charbel dabei war.»
P. Luis Matar: «Nein, ich war nicht der Einzige, auch P. Sayfi war dabei. Er ist 82 Jahre alt, also älter als ich. Er war 19 Jahre alt als wir mit meinen Eltern und mir, der ich kaum 4 Jahre alt war, unmittelbare Zeugen waren.
1965 geschah dasselbe noch einmal vor der Heiligsprechung. Beim Öffnen des Sarges stellten wir dann fest, dass der hl. Charbel ungefähr 7 cm hoch in einer Flüssigkeit aus Blut, Serum, Schweiß lag. Das Gesicht war mit einem Seidentuch bedeckt und die Experten hatten große Mühe, es wegzunehmen, ohne Haut abzulösen.
Die Stirn, die Hände und die Füße waren gut sichtbar und nicht verwest. Ich notierte, dass die Hautfarbe dunkel war. Bis 1977, dem Datum seiner Heiligsprechung, sonderte sein Körper weiterhin reichlich Flüssigkeit ab. Seit 1898, dem Jahr, in dem er starb – also ungefähr 80 Jahre lang – ist der Körper des hl. Charbel beweglich geblieben und hat eine gewisse Aktivität gezeigt, die so stark war, dass trotz des Sarges aus Blei, der seinerseits in einen weiteren Sarg aus Zedernholz gebettet wurde, die Absonderungen bis auf den Boden sickerten, auf dem er stand.
Als ich 1981 in dieses Kloster kam, wurde ich beauftragt, die kleine Kapelle herzurichten, in der der doppelte Sarg unseres verehrten Heiligen steht.
Ich erinnere mich noch an den morastigen Anblick des Ortes mit dem verklumpten Blut, das überall war. In jenem Jahr habe ich den hl. Charbel durch den gläsernen Deckel des Bleisarges gesehen. Ich war überrascht, nach der Entfernung seines Brustkorbes seine Wirbel zu sehen.»
«Was war geschehen?», fragte Geneviève.
P. Luis Matar: «Auf Bitte des Vatikans und wie bei jeder Heiligsprechung üblich, entnimmt man die Rippen, die zu Reliquien werden und in Rom zwischenzeitlich aufbewahrt werden. Es sind auf die Anatomie spezialisierte Chirurgen, die diese Operationen unter der Leitung von Bischof Sfeir durchführten, der damals noch nicht Patriarch war. Er vertraute mir damals an, dass er überrascht war, wie leicht sich diese Eingriffe wegen der fehlenden Starre des Körpers durchführen ließen.
Ich für meinen Teil denke, dass die sterbliche Hülle unseres verehrten Heiligen ohne die traumatischen Erfahrungen, die der Körper des Heiligen während all dieser Jahren erlebte, ihren natürlichen Glanz bewahrt hätte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er sein Fegefeuer durch Menschenhand in seinem eigenen Grab durchgemacht hat!
Dieses außergewöhnliche Phänomen hat natürlich die Wissenschaftler angezogen. Wie konnte ein Mann, der bei seinem Tod im Jahr 1898 45 kg wog, bis 1977 ungefähr 100 kg Blut, Serum, Schweiß aus einem Körper absondern, der ganz beweglich geblieben ist?
Spezialisten von internationalem Rang haben sich mit diesem einzigartigen Fall befasst, ohne eine Antwort zu finden. Ein Ägyptologe, der auf Mumifizierung spezialisiert ist, kam nach Annaya, aber sein Bericht ist nur eine Feststellung.»
JCA: «Wann sahen Sie den Heiligen zum letzten Mal?»
P. Luis Matar: «Vor ungefähr drei Monaten, als es eine Panne mit der Elektrizität gab, die Reparaturen im Gewölbe, wo sich der Sarg befindet, erforderlich machten.»
JCA: «Sie haben den Sarg geöffnet?»
P. Luis Matar: «Nein, natürlich nicht. Ich habe den Holzsarg geöffnet, in dessen Inneren der Bleisarg ist, dessen Deckel durchsichtig und mit einem Tuch bedeckt ist. Im oberen Bereich der Stirn habe ich feine Risse in Form von weißen Schrammen und abgelöster Haut gesehen. Die Füße waren schräg gestellt, während ich sie bis dahin immer gerade gesehen hatte.»
JCA: «Man kann also den Sarg öffnen, wenn es notwendig ist.»
P. Luis Matar: «Ja, sicher; ein Schlüssel befindet sich im Patriarchat von Bkerke und ich verfüge ebenfalls über einen.»
JCA: «Bestätigen Sie, dass der Körper des heiligen Charbel seit seiner Heiligsprechung keine Absonderungen mehr hervorgebracht hat?»
P. Luis Matar: «Ja, das bestätige ich Ihnen und auch die veränderte Lage der Füße, die nicht mehr in vertikaler Position sind. Das läßt mich sagen, dass sein Körper von 1898 bis 1977 “Lebenszeichen” gegeben hat und dass seitdem das Phänomen der Verwesung eingesetzt hat.»
JCA: «Woher kommt Ihrer Meinung nach die [dunkle] Farbe der Haut?»
P. Luis Matar: «Ich vermute vom Kalziumoxyd, das man regelmäßig verwendet hat, um die beständigen Absonderungen von Blut und Schweiß zu binden.»
JCA: «Kalziumoxyd? Aber das brennt!»
P. Luis lächelt als er die Verwirrung der Priester des Klosters von Annaya angesichts der Ereignisse nach dem Tod von P. Charbel erwähnt.
P. Luis Matar: «Habt ihr in den Vitrinen die Alben und die Gewänder des Heiligen gesehen, die dort ausgestellt sind? Sie sind nur ein ganz, ganz kleiner Teil der Gewänder, die seinen Leib bedeckten, um die Exsudate aufzusaugen. Man erzählte, dass die Priester keine liturgische Wäsche mehr hatten, um die heilige Messe zu feiern und dass die Putzfrauen Lauge verwendeten. So kam man also auf Kalziumoxyd (Kalk)!
Nach dem Wunder seines Lebens gibt es das Wunder seines Körpers, der nach seinem Tod spricht, denn der hl. Charbel hat so wenig gesprochen.»
«Seine Stille hat mich immer berührt», sagt Geneviève. «Und auch die Tatsache, dass er nie etwas geschrieben hat. Das ist außergewöhnlich!»
«Das stimmt», bestätigt P. Luis Matar lächelnd. «Bei seinem Tod fand man bei ihm einen 15 cm breiten Bußgürtel aus Ziegenleder, den er um seine Taille hatte, der mit einem Stacheldraht verschlossen war und den er unablässig trug. Er nahm eine Mahlzeit am Tag zu sich, Rohkost und Getreide. Seine einzige Sorge galt, sich von Gott zu nähren und deshalb hat er auf alles verzichtet. Gebet, Fasten, Abtötung standen anstelle von Geld, von Verehrung seiner Person und anstelle seiner eigenen Wünsche. Seine wachsende Liebe zum Herrn wurde so stark, dass er “trunken von Gott” wurde und zwar so sehr, dass man ihn den “heiligen Gottestrunkenen” nannte, ohne seinen Namen erwähnen zu müssen.
JCA: «Hat er zu Lebzeiten Wunder gewirkt?»
P. Luis Matar: «Ja, natürlich, aber in allergrößter Schlichtheit. Ein Gebet, ein Segen und diejenigen, die zu seiner Eremitage gekommen waren und ihn inständig gebeten hatten, gingen am Ende der Messen, die er feierte, geheilt nach Hause. Wir haben bis auf den heutigen Tag alle diese Zeugnisse in unseren Archiven aufbewahrt. Mir scheint, die Universalität unseres Heiligen hängt damit zusammen, dass er in seinem Leben Gott so überaus nahe war, dass Gott ihm heute nichts verwehrt.
Außerhalb von Zeit und Raum kann er auf alles einwirken. Ich erzähle euch ein Beispiel, das sich vor knapp drei Monaten zugetragen hat:
Rana Aoun, ein achtjähriges Mädchen, litt unter einem sehr besonderem Problem. Es hatte an einem Arm unerträgliche Schmerzen vom Handgelenk bis zum Ellenbogen, die für die Ärzte nicht nachvollziehbar waren. Da die Ursache unbekannt war, war die Behandlung schwierig! Die Eltern und das Kind kamen nach Annaya und beschlossen gemeinsam, zur Eremitage zu pilgern und dabei den Weg durch den Wald zu nehmen, der schwieriger ist. Papa und Mama gingen voran und die Kleine ging mühsam hinter ihnen her. Jeder war in seiner Welt des Gebetes und der Hoffnung. Die Kleine bat mit ihrem Kinderherzen den hl. Charbel, ihr den Schmerz zu nehmen. Auf einmal erschien ein Mönch an ihrer Seite und fragte sie: “Was hast du, Kleine?”
Sie erzählte es ihm ganz schlicht und zeigte ihm ihren Arm, den er in seine Hände nahm. Er bewegte vorsichtig einen langen Knochen und fügte einen anderen wieder an seinen Platz, ohne dass dies Schmerzen bereitet hätte. Das Kind fühlte sich sofort erleichtert. Der Mönch sagte: “Nun musst du beten, um das Schreckgespenst des Krieges zu vertreiben, das über dem Libanon schwebt und das müsst ihr unablässig tun”.»
P. Luis fuhr fort: «Das war genau zu dem Zeitpunkt, als Papst Franziskus uns zum Fürbittgebet für den Frieden und für eine diplomatische Lösung in Syrien aufrief, erinnert ihr euch?
Wie ihr seht, ist diese Intervention [des hl. Charbel] etwas sehr Besonderes. Es ist nichts Spektakuläres; das Leben des Kindes ist nicht in Gefahr, aber das Gebet ist die einzige wirksame Waffe, um geheilt zu werden – der Beweis: Das Kind wurde erhört. Und wir haben die Botschaft, die über die Heilung des Kindes hinausgeht, verstanden und kämpfen gegen das Böse… Und die Eltern haben an dem Arm keinerlei Spuren des Eingriffes bemerkt.
Erinnert ihr euch an die Angst, die Ende August überall spürbar war, weil ein unmittelbar bevorstehender Militärschlag mit verheerenden Folgen für Syrien, den Libanon
und die ganze Region befürchtet wurde?
Seit dreißig Jahren ist es meine Aufgabe, mich um das Archiv, die Aufnahmen und Klassifizierungen der Wunder zu kümmern, die der hl. Charbel in der ganzen Welt wirkt, und es ist das erste Jahr, wo es eine solche Beschleunigung der Ereignisse gegeben hat. Vom 21. August 2013 bis auf den heutigen Tag (07.11.2013) habe ich 40 Wunder aufgenommen, das heißt, fast alle 48 Stunden ein Wunder! Das ist undenkbar und doch… Es bezieht sich auf alle Gemeinschaften, auf alle Riten, alle Nationalitäten und – beachtet es! – auf Menschen, die den Heiligen kennen, sowie auf solche, die nichts von seiner Existenz wissen und die noch nie von ihm gehört haben…»
(Fortsetzung folgt)
Jean Claude und
Geneviève Antakli